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Rumjana Hilpert: "Im Donauraum sind Frauen in vielen Bereichen dominierend"

Rumjana Hilpert wuchs in Bulgarien auf und absolvierte dort auch ihre Ausbildung. Nach dem Abitur folgte ein Maschinenbau-Studium an der Technischen Universität in Sofia. Was im Donauraum schon damals ganz normal war, sorgte in ihrem neuen Zuhause Deutschland für große Verwunderung: Eine Frau mit Ingenieurstitel, die trotz Kind arbeiten möchte. Auch heute noch sagt sie: "Die Osteuropäerinnen sind viel emanzipierter als die Frauen in Deutschland." Doch nicht nur die Frauen, auch die Unternehmen und die Gesellschaft können viel durch den Blick in den Donauraum lernen.

Liebe Frau Hilpert, bitte stellen Sie sich unseren LeserInnen kurz vor.

Ich bin seit 2011 sehr aktiv bei der Umsetzung der EU-Donauraumstrategie, wobei das Thema "Frauen im Donauraum" mit großer Beachtung und Engagement in allen Gremien der Strategie betrachtet wird. Ursprünglich komme ich aus Bulgarien, wo ich 1952 in einer kleinen Stadt geboren wurde. Aufgewachsen bin ich in der diesjährigen europäischen Kulturstadt Plovdiv. Meine Familie war mütterlicherseits sehr intellektuell geprägt, mein Vater war hoher Offizier beim Militär. Wir waren eine sehr freigeistige Familie und hatten das Glück, dass wir – anders als in vielen osteuropäischen Ländern üblich - in Bulgarien nicht den Repressalien des Regimes ausgesetzt waren, da Russen und Bulgaren immer freundschaftlich verbunden waren.

Ich war mathematisch-technisch begabt und besuchte nach dem Gymnasium mit knapp 18 Jahren die Technische Universität in Sofia. Eigentlich wollte ich Atomphysikerin werden, durfte das aber aus familiären Einwänden nicht. Also habe ich Maschinenbau, später Mechanik-Gerätebau studiert. Mein Interesse galt schon damals der Automatisierungstechnik und der Kybernetik.

Portrait Rumanja Hilpert

 

Wie kamen Sie nach Deutschland?

Da ich als Kind Deutsch gelernt hatte und meine Eltern Französisch sprachen, konnte ich mir als Studentin mit Übersetzungen für Firmen etwas dazuverdienen -  Bulgarien war damals interessant für Investoren, vor allem aus Deutschland. So kam es, dass ich meinen zukünftigen Ehemann, einen deutschen Geschäftsmann von Mercedes Benz, kennenlernte: Wir heirateten und bekamen unseren Sohn. 1977 gingen wir zusammen nach Deutschland.

Wie war für Sie der Wechsel von Bulgarien nach Deutschland?

Ich wollte in Deutschland natürlich unbedingt arbeiten – aber hier war es so ungewöhnlich, dass eine Frau Ingenieurin ist! Wir wohnten in Hemsbach, nahe Heidelberg. Dort arbeitete kaum eine Frau, sie waren fast alle Hausfrauen. Nach einem Jahr sind wir zuerst nach Wörth am Rhein, später nach Kandel umgezogen. Im ganzen Mercedes-Benz Betrieb in Wörth gab es unter tausenden Mitarbeitern nur eine Frau Diplom-Ingenieurin. Ich kann mich noch ganz genau an eine Szene erinnern: Damals fragte mich ein Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung Wörth, welche Ausbildung ich gemacht habe. Als ich ihm sagte, ich sei Diplom-Ingenieurin, meinte er nur: „Frau Hilpert, ich habe nicht nach dem Beruf Ihres Mannes gefragt, sondern nach Ihrem Beruf.“ Ich erwiderte, dass es in Bulgarien ganz normal sei, dass Frauen Ingenieursstudiengänge absolvieren. Darauf meinte er nur: "Arme Frau, wer hat Ihnen das angetan?!"

Das heißt, in Bulgarien gab es damals schon viele Frauen in technischen Berufen?

In Bulgarien sowie in den anderen osteuropäischen Ländern werden Frauen so erzogen, dass sie arbeiten wollen, das ist selbstverständlich. Es gab eine offizielle Quote bei der Aufnahme zum Studium: In Fächern und allen Disziplinen - auch in den Ingenieurswissenschaften – war die Verteilung von Männern und Frauen bei 50:50. Nach der Wende und durch die Entstehung privater Hochschulen ist diese Quote etwas aufgeweicht.

Wie ging es für Sie dann in Deutschland weiter?

Ich habe mich letztendlich für eine freiberufliche Tätigkeit entschieden. Als Referentin für technische Berufe war ich in einem pädagogischen Institut für das Bildungsmanagement zuständig - dabei ging es um die Vorbereitung für technische Studiengänge usw. Ich habe in dieser Position auch unterrichtet. Das Problem war, dass ich dort keine Entwicklungsmöglichkeiten hatte. Ich habe dann zur IHK Karlsruhe gewechselt, für die ich ebenfalls als freiberufliche Honorarkraft tätig war. Auf diese Weise konnte ich berufstätig sein und mich gleichzeitig um meinen Sohn kümmern. Denn ausreichende Betreuungsmöglichkeiten gab es in den 80ern nicht.

Fühlten Sie sich als Frau unter Männern akzeptiert?

Vom damaligen Geschäftsführer wurde ich sehr gefördert - ich war tätig als Projektmanagerin, Consultant und auch als Dozentin. Vermutlich hätte er mich auch gerne als Vollzeitkraft angestellt, allerdings wollte mein Mann nicht, dass ich in Vollzeit arbeite - dagegen habe ich mich aus unterschiedlichen Gründen nicht durchgesetzt.

Heute würde ich sagen, dass das ein Fehler war. Allerdings war ich als Freiberuflerin auch akzeptiert - und das in einem Bereich, in dem ich die einzige Frau war. Die Akzeptanz der Kollegen basierte auf meiner Fachkompetenz, meiner Kommunikations- und meiner Teamfähigkeit - und die Kollegen mussten nicht befürchten, dass ich ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen würde. In einer festen Anstellung wäre das vielleicht schwieriger gewesen. Das Kind war allerdings in der Wahrnehmung der Arbeitgeber immer ein Problem.

Foto des Amphiteaters in Plovdiv, Bulgarien
Mit einer langen Geschichte, aber den Blick in die Zukunft gerichtet: Das Amphitheater in Plovdiv, der Geburtsstadt von Rumjana Hilpert in Bulgarien
Eine große Treppe in Plovdiv mit einem Aufsteller davor, der den Schriftzug "together" trägt
Viele Osteuropäische Länder haben den Wert von Diversity erkannt: Dass Frauen führen oder technische Berufe ergreifen, ist dort selbstverständlich

Sie sind dann im Anschluss in die Industrie gegangen?

Zuerst absolvierte ich ein Studium zur europäischen Schweißfachingenieurin und wurde für die Handwerkskammer in einer leitenden Position tätig. Dort habe ich die duale Ausbildung promotet und kam über ein EU-Projekt zum Transfer der dualen Ausbildung nach Russland, da ich die Sprache beherrschte.

Wie läuft Frauenförderung in Russland und Bulgarien ab, werden Frauen im Berufsleben gefördert?


Wenn ich über die berufliche Situation der Frauen rede, möchte ich generell die Lage der Frauen im Donauraum, besonders in den osteuropäischen Ländern betrachten. Die einzelnen Länder haben selbstverständlich ihren spezifischen Merkmale. Ich kenne mich am besten in Bulgarien, teilweise auch in Russland aus. Über die langjährige Projektarbeit im Donauraum bin ich auch mit Ungarn, Kroatien, Slowenien, Slowakei, Rumänien und Serbien vertraut.

Ich würde sagen, im beruflichen Sinne sind die Frauen gerne als Kolleginnen gesehen und meistens gleichgestellt. In den Führungspositionen sind zwar auch mehr Männer, aber es ist für Frauen nicht so schwierig in Spitzenpositionen zu kommen, wie in Deutschland.

Blaue Landkarte des Donauraums

Dass Frauen in diesen Ländern berufstätig sind ist ganz selbstverständlich und es gibt keine Differenzierung in der Lohnpolitik. Die Osteuropäerinnen sind viel emanzipierter als die Frauen in Deutschland. Viele Frauen in Bulgarien sind sehr erfolgreich, viele meiner damaligen Kommilitoninnen sind heute in guten und nicht selten in Führungspositionen.

Überhaupt würde ich sagen, dass Frauen im Donauraum in vielen Bereichen sogar dominierend sind, zum Beispiel auch in Kunst und Kultur. Das hat auch damit zu tun, dass es gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt: Die großen Unternehmen haben oft eigene Kitas, damit Frauen sich beruflich verwirklichen können. Dort werden die Kinder in den Kindergärten und Schulen in der Regel ganztägig betreut.

Können Frauen in Bulgarien und Russland heute einfach Karriere machen und Chefin werden? 

Heute ist es für Frauen schwerer als früher, Karriere zu machen, da durch die Kinderbetreuung eine Lücke im Lebenslauf auftaucht, die Entwicklung am Arbeitsplatz aber sehr schnell voranschreitet. Also kann man sich gar nicht leisten, als Mutter zuhause zu bleiben. In Bulgarien fällt mir auf, dass die Ministerien auf den Führungsebenen sehr weiblich besetzt sind. Es gibt dort viele hochqualifizierte Frauen. Die großen Unternehmen in Bulgarien investieren oft viel Geld in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - Frauen können ihre Kinder zum Beispiel in der Betriebskita versorgen lassen, während sie auf Fortbildung sind. In Russland spürt man, dass unter Putin die Frauen unzufriedener werden: Sie protestieren, weil sie sich in Putins "Macho-Regime" weniger gefördert und den Männern gegenüber im Nachteil fühlen.

Ist das representativ für den ganzen Donauraum? 

Für alle osteuropäischen Länder ist typisch: Frauen wollen arbeiten und nicht zu Hause bleiben, streben ein Studium und eine erfolgreiche Karriere an. Unterstützt werden Sie in der Familie, Gesellschaft und teilweise vom Staat. Allerdings ist nach der Wende eine "Rückwärtsbewegung" zu verzeichnen, d.h. sehr vermögende junge Frauen bleiben zu Hause, wie in bestimmten Schichten im Westen. Zum Glück sind diese Frauen eine Minderheit.

Was sind Dinge, die wir in Deutschland von Bulgarien und von den Donauraumländern lernen können, um Frauen besser zu fördern?

Vor allem müssen wir in Deutschland die Denkweise hinter uns lassen, dass es so etwas wie "Frauenberufe" und "Männerberufe" gibt. Wenn Kinder so erzogen werden, erstickt das Talente schon im Keim - das ist sehr schädlich! Mädchen sollten genauso wie Jungs in technischen Fächern unterrichtet, gefördert und ermutigt werden. Themen wie Projektmanagement und Führung sind in der Schule zu wenig präsent. Mädchen und jungen Frauen muss man Solidarität und Networking unter Frauen nahelegen. Männer haben immer sehr erfolgreiche Netzwerke, Frauen leider selten.

Was die Unternehmen betrifft, würde ich sagen: Von der obersten Ebene, der Geschäftsleitung, müsste mehr und deutlicher kommuniziert werden, welches Führungspotenzial Frauen haben. Denn noch immer dominieren Männer die Karriereentscheidungen. Gründerinnen sollte viel mehr von Politik und Wirtschaft unterstützt werden. Beispiel dafür ist das Donau-Förderprogramm "Women in Business", sowie viele grenzüberschreitende Initiativen und Austausch.

Kinder sind in östlichen Ländern oder auch in Frankreich und in den skandinavischen Ländern  kein Karrierehindernis - Frauen haben in diesen Ländern viel mehr Möglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten, und sollten diese auch in Deutschland haben.

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit.