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"Führungskompetenzen verliert man nicht durch eine Schwangerschaft!"

Michael Reinhold & Susann Hesse, Heads of Global Consultation – Global Assignment Management, Daimler AG

 

Teilzeitmodell: 24 h bzw. 30 h pro Woche mit je drei Präsenztagen und einem Tag Überschneidung


Liebe Frau Hesse, lieber Herr Reinhold, bitte stellen Sie sich unseren Lesern/Leserinnen kurz vor.

Michael Reinhold: Ich bin seit 20 Jahren bei der Daimler AG und zunächst als Pressesprecher in den Konzern eingestiegen. Die ersten Jahre habe ich in Stuttgart gearbeitet, bevor ich mit meiner Familie 2003 für Daimler nach Tokio zu Mitsubishi gegangen bin - dort wurde auch meine Tochter geboren. Nach unserer Rückkehr habe ich dann innerhalb des Konzerns gewechselt, später im Bereich Compliance mit Schwerpunkt Antikorruption gearbeitet. 2011 hatte ich erneut die Chance nach Asien zu gehen: Bis 2013 war ich als Personalleiter mit Teams in Tokio und Peking für die internationalen Einsätze in die Region Asien-Pazifik verantwortlich.

Bald nach meiner Rückkehr habe ich die Verantwortung für „Global Assignment Consultation“ übernommen. Diese Abteilung ist für die Betreuung und Beratung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im internationalen Einsatz zuständig - das heißt, wir unterstützen die Kollegen und deren Familien vor, während oder nach dem Auslandseinsatz. Zudem beraten wir die Fachbereiche, die spezielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen oder entsenden wollen.

Michael Reinhold, Head of Global Consultation – Global Assignment Management, Daimler AG

Vor zweieinhalb Jahren kam dann Frau Hesse mit dazu, seither leiten wir die Abteilung im Führungstandem. In Summe besteht die Abteilung heute aus acht Teams mit insgesamt rund 90 Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart, Tokio, Peking und Farmington Hills.

Susann Hesse, Head of Global Consultation – Global Assignment Management, Daimler AG


Susann Hesse:
Ich habe in Deutschland und den USA Internationale BWL studiert und war als Trainee bei der Daimler AG in Frankreich, Stuttgart und Singapur tätig. Fest eingestiegen bin ich dann im Business Development der Daimler Financial Services GmbH.

Mit dem Wechsel in die Vorstandsassistenz des Personalchefs kam der Umzug von Berlin nach Stuttgart, wo ich später die Abteilungsleitung des „Executive Development“ übernommen habe.

Durch meine Schwangerschaft war ich dann auf der Suche nach einer neuen Rolle für den Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Ich war immer sehr glücklich und ambitioniert in meinem Beruf, wollte aber eine Teilzeitstelle, in der ich sowohl meinen beruflichen Aufgaben als auch meinem Kleinkind gerecht werden konnte.

Sie haben also eine neue Herausforderung gesucht und das Führungstandem mit Herrn Reinhold war die Lösung?

Susann Hesse: Ja, genau - ich habe ganz bewusst den Wechsel heraus dem Bereich Financial gesucht und habe dafür auch mein berufliches Umfeld und Netzwerk aufgegeben. So bin ich das Wagnis eingegangen, mit Michael in eine geteilte Führungsposition zu starten.

Kannten Sie beide sich vorher?

Michael Reinhold: Wir hatten uns vielleicht mal gesehen, aber es gab keinen engeren Kontakt und wie hatten vorher nie zusammengearbeitet.

Susann Hesse: Das lief wohl nach dem Motto „No risk, no fun!“.

Ein mutiger Schritt für beide von Ihnen! Für Sie, Herr Reinhold, bedeutete das Tandem den Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit?

Michael Reinhold: Ganz genau. Ich hatte vorher die alleinige Abteilungsleitung inne, wollte aber reduzieren - besonders mit Blick auf die Balance zwischen Beruf und Privatleben. Außerdem hatte meine Frau ihre beruflichen Aktivitäten enorm ausgebaut und für mich war nach zwei Auslandseinsätzen, auf denen mich meine Familie begleitet hatte, „Payback Time“. Das habe ich als großartige Chance begriffen, in einen anderen Rhythmus zu kommen.

Wie lief die Neuaufstellung ab, war die andere Hälfte des Führungstandems ausgeschrieben?

Michael Reinhold: Die Stelle wurde zunächst in einem klassischen Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Die Resonanz auf die Ausschreibung war sehr gut - schließlich handelt es sich um eine sehr attraktive Stelle, international ausgerichtet und mit viel Führungsverantwortung. Dann stellte sich jedoch heraus, dass es mit Susann eine unglaublich qualifizierte Elternzeitrückkehrerin gab – damit waren die Würfel gefallen.

Susann Hesse: Ich wurde von meinem Personalberater damals proaktiv auf die Stelle angesprochen, da ich ja in Elternzeit und auf der Suche nach einer neuen Herausforderung war.

Für Sie war also klar, dass Sie weniger Arbeiten, aber in Führung bleiben wollen – und Sie haben das auch in dieser Klarheit kommuniziert?

Susann Hesse: Ja, das stand für mich fest und wurde im Konzern auch in keiner Weise infrage gestellt - zumindest kenne ich persönlich keinen solchen Fall. Wir haben zwar noch die klassischen Kaminkarrieren, aber man kann diese auch sehr gut mit Kind verfolgen. Ich würde auch sagen, dass ich durch mein Kind in meiner Führungsrolle nur gewonnen habe. Führungskompetenzen verliert man ja nicht durch eine Schwangerschaft!

Das klingt, als ob der Weg ins Führungstandem problemlos gewesen ist. Nach unserer bisherigen Interviewerfahrung keine Selbstverständlichkeit! 

Michael Reinhold: Es war überhaupt nicht schwer. Ein Vorteil war bestimmt, dass wir mit unserer Abteilung direkt im Bereich Personalentwicklung angesiedelt sind – denn in unserem Gesamtbereich werden solche Modelle schließlich entworfen und auch beworben. Mit der Forderung, in Teilzeit zu führen, rennt man da offene Türen ein. Dazu kommt natürlich, dass wir im Personalbereich viele weibliche Mitarbeiterinnen haben, sodass Teilzeitmodelle ohnehin sehr verbreitet sind.

Wie teilen Sie sich die Stelle konkret auf? Haben Sie Ihre Bereiche inhaltlich aufgeteilt?

Michael Reinhold: Ich arbeite 24 Stunden pro Woche, Susann 30 Stunden. Die Wochentage haben wir untereinander aufgeteilt, das heißt ich bin von Montag bis Mittwoch im Büro, Susann von Dienstag bis Freitag. Unsere acht Teams haben wir ebenfalls aufgeteilt. Ich bin für Asien, Naher Osten und Afrika zuständig, die anderen vier Teamleiterinnen berichten an Susann.

Susann Hesse: Wir tragen die Arbeit und die Verantwortlichkeiten gemeinsam. In Abwesenheitszeiten vertreten wir uns gegenseitig und wir haben gemeinsame Teamleiter- und Abteilungsleiterrunden, die von uns beiden oder einem von uns geleitet werden – je nachdem, wer da ist. Dieses System haben wir im Laufe des ersten Jahres unserer Zusammenarbeit entwickelt.

Führung im Tandem bedeutet also auch ein Stück weit „learning by doing“?

Michael Reinhold: Wir hatten von Anfang an eine Vorstellung, wie wir das Führungstandem gestalten wollten. Wir haben diese Vorstellung aber nach und nach weiterentwickelt. Unser Ziel war es, so zu agieren und aufzutreten, dass wir unserem Vorgesetzen, den Mitarbeitern und unseren Kunden nicht wie ein Tandem, sondern wie eine einzelne Führungskraft erscheinen.

Susann Hesse: Natürlich haben wir unterschiedliche Stärken und Erfahrungen - und wir waren beide zum ersten Mal im Tandem und auch zum ersten Mal in Teilzeit. Daher haben wir noch im ersten Jahr entschieden, mit einem Coach zusammenzuarbeiten und uns als Tandem zu reflektieren. Viele nehmen sich erst dann einen Coach, wenn sie Probleme haben. Wir haben das frühzeitig gemacht, quasi als Investment – das war sicher auch ein Erfolgsfaktor.

Michael Reinhold: Was uns auch sehr geholfen hat, war, dass wir uns sehr intensiv mit unseren eigenen Denkweisen und Präferenzen auseinandergesetzt haben. Wo liegen die jeweiligen Stärken? Wo gibt es blinde Flecken? Es war wichtig, gezielt Verständnis für das Verhalten des anderen zu entwickeln.

Gibt es noch andere gemischte Tandems bei Ihnen im Unternehmen?

Susann Hesse: Ich persönlich kenne kein anderes gemischtes Tandem. Wir haben bei der Daimler AG insgesamt über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Tandem führen – davon ist jedes sechste gemischt. Das heißt, gemischte Tandems sind lange nicht so verbreitet wie geschlechterhomogene Tandems.

Michael Reinhold: Teilzeit gilt ja gemeinhin als „atypisches Beschäftigungsverhältnis“. Wenn man die Zahlen anschaut, muss man sagen: Führen in Teilzeit weicht noch stärker von der Regel ab.

Wie ist es um die Akzeptanz von außen bestellt? Können Sie Gelingensfaktoren nennen – zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit Ihrem Vorgesetzten?

Michael Reinhold: Unser Vorgesetzter schätzt unser Modell und unterstützt uns auch. In den ersten Monaten unserer Zusammenarbeit gab es sehr viel zu tun, da wir für ein aufwendiges Restrukturierungsprojekt mitverantwortlich waren. In dieser Zeit hat unser Vorgesetzte erwartet, dass wir beide bei den Führungskräftesitzungen anwesend sind. Das war aus unserer Sicht in Ordnung, kostete aber auch viel Zeit. Danach konnten wir uns die normalen Meetings aufteilen. Das habe ich als enorme Entlastung empfunden. Inzwischen halten wir Rücksprachen mal gemeinsam und mal einzeln - je nachdem, um welches Thema es geht

Susann Hesse: Wir haben uns im Laufe des ersten Jahres auch nicht nur als Tandempartner eingespielt, sondern wir haben uns auch gemeinsam mit unserem Vorgesetzten ausgetauscht und abgestimmt, wie wir unser Tandem gestalten. 

Wie hat Ihr persönliches Umfeld auf diese Veränderung reagiert?

Michael Reinhold: Meine Eltern haben sich schon Sorgen gemacht bezüglich möglicher beruflicher Nachteile. Insgesamt werde ich aber eher beneidet und ich erlebe es schon so, dass manche Männer in ähnlichen Positionen sich dies durchaus wünschen, aber solche Modelle oft in anderen Arbeitskulturen oder in mittelständischen Betrieben nicht realisierbar scheinen.

Was sagen Ihre Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen zur Doppelspitze?

Susann Hesse: Wir sind gemeinsam für unsere Abteilung und unsere Themen verantwortlich, aber natürlich sind wir zwei unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Meinungen – 100-prozentige Übereinstimmung wäre also utopisch! Das war auch für die Teams eine Herausforderung.

Michael Reinhold: Die Akzeptanz war von Anfang an sehr hoch, da viele selbst in Teilzeit arbeiten. Unsere Mitarbeiter haben uns gerade in den ersten Monaten durchaus die Unterschiede zwischen uns beiden gespiegelt. Im Laufe der Zeit konnten wir vermitteln, dass es in einzelnen Punkten zwar Unterschiede gibt, aber in zentralen Fragen nicht. Wichtig ist sicher, dass wir als Tandempartner ein starkes Vertrauensverhältnis haben.

Mussten Sie sich hier auch ein Stück weit von Ihrem alten Führungsstil verabschieden?

Michael Reinhold: Für mich als Führungskraft gehörte es sicher dazu loszulassen. Wir stimmen auch nicht alles rund um die Uhr ab. In der Konsequenz bedeutet das dann, dass man manchmal eine Entscheidung mitträgt, die man selbst anders getroffen hätte.

Susann Hesse: Wenn es um die „Lessons learned“ geht, würde ich sagen: Mir ist mein Führungsstil viel bewusster geworden. Führung ist oft „automatisch“. Durch die Arbeit im Tandem habe ich gemerkt, was ich als Führungskraft alles unbewusst transportiere. Außerdem lernt man noch einmal stärker zu priorisieren. Ich finde die Arbeit im Tandem sehr schön, denn man lernt viel voneinander und hat immer einen Sparringspartner an seiner Seite.

Das klingt nach einem Erfolgsmodell, ist in der Praxis aber sicher nicht immer einfach. Wie war der Wechsel von Voll- auf Teilzeit für Sie, Herr Reinhold? Und von der alleinigen Führungskraft zum Tandem?

Michael Reinhold: Es war ja mein Wunsch zu reduzieren und ich habe Susann vom ersten Tag an als Kollegin geschätzt. Von daher fiel es mir leicht Verantwortung abzugeben. Ich empfinde die Arbeit im Tandem als eine große Bereicherung. Außerdem haben wir heute zu zweit auch mehr Teams, als ich damals alleine zu verantworten hatte. Wir könnten uns beide nicht vorstellen, die Stelle alleine auszufüllen. Auch die Position im internationalen Umfeld profitiert davon – zu zweit kann man viel leichter unterschiedliche Zeitzonen und Kontinente abdecken.

Susann Hesse: Als ich die Stelle angetreten habe, wusste ich ja auch, dass Michael die Position vorher alleine hatte. Für mich war deshalb klar, dass ich nicht mit dem Vorschlaghammer durch die Abteilung laufen und überall direkt meinen Stempel aufdrücken werde. Ich habe immer versucht, mit Intuition und Einfühlungsvermögen vorzugehen.

War Frau Hesse von Anfang an so akzeptiert wie Sie, Herr Reinhold?

Michael Reinhold: Zu Beginn habe ich an meinem freien Tag vielleicht schon mal eine SMS erhalten. Dann schreibt man einfach zurück: Ist Susann nicht da? Hast du schon mit ihr gesprochen? Es ist für alle Beteiligten ein Lernprozess. 

Susann Hesse: Wir haben klare Vertretungsregelungen getroffen und die Mitarbeiter informiert, welche Themen wie vertreten werden – oder auch nicht. Führung ist ja immer auch eine persönliche Sache, das heißt Entwicklungspläne für meine Mitarbeiter bespreche nur ich mit ihnen. Persönlichkeitsgebundene Themen werden also nicht vertreten, alles Operative schon.

Sie haben bisher viele Vorteile Ihres Modells genannt – hat ein Führungstandem auch Nachteile?

Michael Reinhold: Die Präsenz ist sicher geringer, das ist klar. Dafür ist die Frische größer und man arbeitet effizienter. In den freien Tagen hat man vielleicht andere Ideen gesammelt. Bei sehr fordernden Projekten arbeitet man sicher intensiver. Hinzu kommen Fortbildungen oder Workshops. Man muss einfach mehr priorisieren und sich vielleicht noch besser vorbereiten.

Susann Hesse: Schwierig wird es für BIG EGOS – wer sehr stark auf seinen eigenen Weg besteht und seine eigene Überzeugung durchdrücken möchte, ist in einem Führungstandem sicher falsch. Man muss beim Jobsharing Kompromisse eingehen – das bedeutet für mich aber nicht, dass wir etwas „aufgeben“ oder „nachgeben“, sondern dass wir gemeinsam eine bessere Lösung finden.

Das klingt schon fast nach einem Schlusswort! Möchten Sie unseren Lesern/Leserinnen noch etwas mit auf den Weg geben?

Susann Hesse: Wir wollten natürlich auch, dass es funktioniert - und kein Negativbeispiel sein! Ich glaube, dass Unternehmen langfristig Konstellationen wie Führungstandems oder Führen in Teilzeit profitieren. Man läuft gerade als Führungskraft weniger Gefahr, einen Tunnelblick zu entwickeln. Vielleicht sind Tandems auch gesünder: Ich persönlich kann mich jeweils in der einen Rolle für die andere erholen!

Michael Reinhold: Aus meiner Sicht hilft uns das digitale Zeitalter bei solchen Veränderungen enorm. Bei uns hat jeder ein Handy und einen Laptop, auch die Personalakten sind digitalisiert. Wir können also jederzeit und von überall aus mobil arbeiten. Bei einer reinen Präsenzkultur haben es solche Tandem-Modelle natürlich deutlich schwerer.

Herzlichen Dank für das spannende Gespräch und Ihnen beiden weiterhin viel Erfolg und Freude mit der Arbeit im Tandem.