"Digitalisierung im Mittelstand": Spitzenfrauen-Workshop bei SAP SE in Walldorf
Chancen und Herausforderungen des digitalen Wandels für baden-württembergische Unternehmen
Wie digital ist der baden-württembergische Mittelstand? Welche Chancen eröffnen neue, digitale Geschäftsmodelle? Wo liegen Hindernisse auf dem Weg zur digitalen Organisation? Diese und weitere Fragen standen beim Spitzenfrauen-Workshop am 1. Februar 2019 bei der SAP SE in Walldorf im Mittelpunkt. Mitglieder der Spitzenfrauen-Community diskutierten gemeinsam mit weiblichen (Nachwuchs-)Führungskräften der SAP SE, wie die Digitalisierung im Mittelstand gelingen kann und wo sie Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellt.
Ziel des Workshops war es, Treiber und Barrieren zu identifizieren und Lösungsansätze für eine erfolgreiche Digitalisierung in mittelständischen Unternehmen zu finden. Nach einer Stärkung und einem ersten Kennenlernen beim Business Lunch gingen die rund 30 Workshop-Teilnehmerinnen an die Arbeit. In fünf Kleingruppen wurden unterschiedliche Themenstellungen intensiv diskutiert. An unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven mangelte es dabei nicht. Wie in der Spitzenfrauen-Community üblich, waren die verschiedensten Branchen und Disziplinen, Nationalitäten und Karrierewege vertreten: Von der Spitzenfrau bis zur Nachwuchsführungskraft, vom Sozialbereich bis zum Energiedienstleister und von der Ingenieurin bis zur Pädagogin reichte die Bandbreite an den fünf Thementischen.
Verschläft der baden-württembergische Mittelstand die Digitalisierung?
Schon bei der "Bestandsaufnahme" ergibt sich ein differenziertes Bild: In der Industrie 4.0 führend, bei den digitalen Services Entwicklungsland. Sicher ist nur eins: Es gibt noch viel Potenzial! Damit aus "Hidden Champions" keine "Forgotten Champions" werden, müssen sich die Unternehmen sowohl den Digitalisierungsgrad als auch das Tempo noch deutlich steigern. Dem stehen nicht nicht-unternehmensinterne Probleme im Wege: Im Hochtechnologieland Baden-Württemberg sorgt vor allem die mangelhafte Infrastruktur für Irritation unter den Teilnehmerinnen. Wie sollen Unternehmen digitalisieren, wenn es schon am Grundlegendsten fehlt ? Andere Barrieren scheinen aber auch hausgemacht. Stichwort: Misstrauen der Mittelständler. Im Land der Erfinder und Ingenieure steht, so die Vermutung, gerade diese starke Tradition der digitalen Erneuerung im Wege. Der Perspektivwechsel fällt schwer, ist aber zwingend notwendig für die Innovationsfähigkeit. In Baden-Württemberg fließen die Warenströme weiter kräftig, die großen Datenströme und die radikalen digitalen Innovationen sind aber eher andernorts zu finden. In Zukunft sollten statt hoher Ingenieurskunst Anwenderfreundlichkeit und Usability im Vordergrund stehen, altbewährte und hoch spezialisierte Produkte müssen neu gedacht werden. Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung ist die Kommunikation – sowohl mit als auch innerhalb der Unternehmen. Mit Digital Hubs hat die Politik eine wichtige Weiche gestellt. Die große Herausforderung für den Mittelstand ist es nun, in der Fülle an Möglichkeiten den eigenen digitalen Weg zu finden.
Digitale Geschäftsmodelle: Das Gemüse-Abo ist erst der Anfang
Das Gemüse-Abo beim Bauern aus der Region, eine psychotherapeutische Beratung durch den digitaler digitalen Assistenten - Best Practice Beispiele für digitale Geschäftsmodelle gibt es bereits. Sie zeigen: Viele Unternehmen hüten digitale Schätze, sie müssen sie "nur" heben - zum Beispiel in neuen Zielgruppen oder sogar Märkten. Entscheidend für die digitale Wertschöpfung ist nach der Meinung der Workshop-Teilnehmerinnen der Kundennutzen. Bisher sind die Treiber für neue Geschäftsmodelle oft extern: (Neue) Konkurrenten drängen in den Markt oder Kunden setzen neue digitale Standards. Oft werden auch gemeinsam mit dem Kunden neue Lösungen entwickelt, was ganz eigene Herausforderungen mit sich bringt. Es gibt aber auch interne Faktoren: Digitale Geschäftsmodelle können Fachkräfte anziehen und mittelständische Unternehmen attraktiver machen. Überhaupt ist das Personal ein entscheidender Knackpunkt: Eine dünne Personaldecke kann Digitalisierung blockieren. Im Sinne der Effizienzsteigerung kann sie aber auch Digitalisierungstreiber sein.
Eine andere, nicht minder wichtige Frage: Wo kommt die digitale Expertise her? Ein möglicher Ansatz könnte sein, Experimentierfelder im Unternehmen zu eröffnen, in dem interne und externe Partner gemeinsam an neuen Ideen arbeiten und erproben - zum Beispiel in Form eines Start-ups oder Tochterunternehmens. Unerlässlich sind dabei die Offenheit und das Commitment der Geschäftsleitung. Denn digitale Geschäftsmodelle stellen Althergebrachtes infrage - wer Innovation ermöglichen will, muss sich zumindest zeitweise von gesetzten Qualitätsstandards verabschieden. Das bedeutet auch eine Umstellung weg von Effizienz und Kontrolle hin zum Experiment und zu mehr Agilität. Wo Fehler lange Zeit ausgemerzt wurden, müssen sie nun zugelassen und eine Fehlerkultur etabliert werden. Ein riesiges Thema war hier auch der Generationenwechsel: Blockieren Unternehmer 60+ die Digitalisierung?
Lieber sukzessiv statt disruptiv: So kann Digitalisierung gelingen
Wenn es um Digitalisierung geht, ist auch Disruption in aller Munde. Doch wie sieht es im Mittelstand aus – muss Digitalisierung auch hier disruptiv sein? Müssen Unternehmen ihr eigenes Geschäftsmodell angreifen? Auch wenn manchmal ein „harter Cut“ notwendig ist, so waren sich die Workshop-Teilnehmerinnen doch einig, dass Erneuerung im Unternehmen besser sukzessiv erfolgen sollte. Nur so können alle Beteiligten bei der Digitalisierung, die nicht nur ein technischer Prozess ist, sondern auch einen Kulturwandel darstellt, mitgenommen werden. Unverzichtbar für ein Gelingen der digitalen Transformation ist ein Treiber, der das Unternehmen kennt und vermittelnd wirken kann. Allerdings kann es gerade in inhabergeführten Unternehmen auch sehr schwierig werden, die Digitalisierung voranzutreiben und zu gestalten – dann nämlich, wenn die Geschäftsleitung nicht offen für das Thema ist. Dem Mittelstand kommt dabei zu Gute, dass er agiler ist als Konzerne mit ihren oft trägeren Strukturen. Ein Nachteil gegenüber Großunternehmen sind die mitunter beschränkten Ressourcen. Die wichtigste Basis für einen erfolgreichen Wandel ist aber das richtige Mindset: Sich als Unternehmen und das eigene Geschäftsmodell infrage zu stellen und sich für Innovation zu öffnen, sahen die Teilnehmerinnen als ein ganz grundlegendes Erfolgsrezept für eine gelungene Digitalisierung.
Ethische Herausforderungen und Antworten des Mittelstands
Wer über Digitalisierung spricht, kommt auch um ethische Fragestellungen nicht herum. Antworten sind hier nur schwer zu finden, dafür verstrickten sich die Workshop-Teilnehmerinnen in eine spannende Diskussion. Ein wichtiges Learning daraus: Der Mensch muss Gestalter und Bestimmer der globalen digitalen Revolution sein und bleiben. Das heißt auch, dass die Verantwortung des Einzelnen und der Unternehmen wächst. Der Mittelstand insbesondere ist gefordert, in einen Dialog mit der Politik zu treten, um die richtigen Weichen für die digitale Zukunft zu stellen. Wie weit darf Digitalisierung gehen? Wo gilt es, Grenzen zu setzen und drohenden Schaden abzuwenden? An vielen Stellen begrüßen die Teilnehmerinnen die Digitalisierung – dort, wo sie entlastet und von lähmender Routine befreit. An anderen Stellen ist und bleibt sie für viele befremdlich: Pflege durch Roboter – wollen wir das wirklich? Weitere Spannungsfelder sahen die Teilnehmerinnen zwischen der rasanten technischen Entwicklung und dem nötigen Kulturwandel, der seine Zeit braucht. Oder auch beim Datenschutz, wo das Recht auf Privatheit mögliche Innovationen behindert. Ein Schlüssel kann auch hier die Unternehmenskultur sein: Unternehmen müssen dort Vertrauen stiften, wo die Digitalisierung Ängste schürt – auch das ist eine große Chance für den Mittelstand.


HR im Wandel: Der Mittelstand könnte zur Marke werden
Ob Fachkräftemangel oder Jobkiller - die Digitalisierung wird das Arbeitsleben massiv beeinflussen und bringt für die Personalarbeit besondere Herausforderungen mit sich. Für die Workshop-Teilnehmerinnen ergab sich ein differenziertes Bild, sowohl was die Arbeit im HR-Management, als auch was den Arbeitsmarkt betrifft: Einerseits erleichtern Datentools und Algorithmen schon heute Routinearbeiten, auf der anderen Seite wird die individuelle Betreuung des einzelnen Menschen immer wichtiger. Für den Mittelstand kann das eine Chance sein: Familienunternehmen punkten mit Flexibilität, Gestaltungsfreiraum und Persönlichkeit und gewinnen dadurch als Arbeitgeber an Attraktivität. Aktuell ruhen sich aber, so vermuten die Teilnehmerinnen, noch zu viele mittelständische Unternehmen auf ihren Lorbeeren aus.
Der Rat für den Mittelstand: Das Thema Employer Branding aktiv angehen – frei nach dem bekannten Motto: "Tue Gutes und rede darüber!" So schätzen sie auch den IT-Fachkräftemangel als hausgemacht ein: Wo in Stellenanzeigen nur Männer angesprochen werden und wichtige Angebote wie Kitas, die Option auf Homeoffice oder auch Ausbildungsplätze fehlen, werden sich auch in Zukunft keine Fachkräfte hin verirren. Eine große Herausforderung im HR-Bereich sahen die Workshop-Teilnehmerinnen im Clash der Generationen: Schon heute treffen im Unternehmen "Digital Natives" auf "Digital Immigrants" und jede Gruppe bringt ihre ganz eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse mit. Das wirkt sich auch auf die Rolle der Führungskraft aus, die zum Coach und Mentor werden muss. Dazu gehört auch: Den Mitarbeitern die Ängste vor der Digitalisierung nehmen und im Wandel aktiv begleiten.
Fazit: kurz & knapp
Die Digitalisierung birgt gewaltige Chancen für den Mittelstand, stellt ihn aber auch vor enorme Herausforderungen. Aktuell ist noch viel Potenzial ungenutzt. Wenn die Hidden Champions auf einem globalen Markt nicht abgehängt werden wollen, müssen sie sich mehr anstrengen und ihr digitales Kapital anzapfen. Das erfordert auch, dass Unternehmen und Mitarbeiter digitales Denken und Handeln lernen. Denn die Digitalisierung braucht einen Perspektivwechsel – weg von der Tradition, hin zur Innovation. Dabei darf gerade der Mittelstand seinen Markenkern aber nicht aus den Augen verlieren: Kurze Entscheidungswege, ein persönliches Arbeitsumfeld und eine ausgeprägte Werteorientierung geben zusammen mit einer starken Unternehmerpersönlichkeit der Digitalisierung ein menschliches Gesicht.
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