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"Wir treffen im Tandem bessere Entscheidungen und erzielen bessere Ergebnisse!"

Dr. Stefanie Werner & Tanja Gruschka, Heads of Accounting & Tax, Daimler Mobility Services GmbH

 

Teilzeitmodell: 30 h pro Woche mit je drei Präsenztagen & damit einem Tag Überschneidung

Seit Mai 2019 leiten Dr. Stefanie Werner und Tanja Gruschka die Abteilung Accounting & Tax bei der Daimler Mobility Services (DMS) GmbH im Führungstandem. Beide üben ihre Führungsposition in Teilzeit aus, sind aber zu 100 Prozent für alle Themen ansprechbar und verantwortlich. Wie es zur Doppelspitze kam, welche Erfahrungen sie damit gemacht haben und warum die Entscheidung auf ein "echtes" Tandem fiel, berichten sie im Interview mit Spitzenfrauen BW.


Liebe Frau Dr. Werner, liebe Frau Gruschka, bitte stellen Sie sich unseren LeserInnen kurz vor.

Dr. Stefanie Werner: Ich habe klassisch BWL in Mannheim und Hohenheim studiert und anschließend an der Universität in Hohenheim in Wirtschaftswissenschaften promoviert. Danach bin ich bei der damaligen car2go GmbH eingestiegen und habe dort eine extrem dynamische Zeit mit neuen Produkten, neuer Unternehmensausrichtung, neuen Strukturen und Umfirmierungen miterlebt und mitgestaltet. Unter anderem habe ich dort auch das Team Accounting Governance aufgebaut und dabei Frau Gruschka kennengelernt, die in dieser Rolle meine Chefin war. Nach dem Aufbau des Teams Accounting Governance habe ich die Leitung des DMS-internen Projektteams zur Gründung eines Joint Ventures mit der BMW Group übernommen. Im Juli 2018 erfolgte dann der Wechsel in die Abteilungsleitung Accounting & Tax – und damit auch ins Jobsharing mit Frau Gruschka.

Dr. Stefanie Werner, Head of Accounting & Tax, Daimler Mobility Services GmbH
Tanja Gruschka, Head of Accounting & Tax, Daimler Mobility Services GmbH

Tanja Gruschka: Ja genau, Frau Dr. Werner war vorher meine Mitarbeiterin und ist nun meine Tandempartnerin, d.h. wir teilen uns seit Juli 2018 die Leitung der Abteilung Accounting & Tax der Daimler Mobility Services GmbH. Ich selbst habe zuerst eine Banklehre absolviert und dann ebenfalls BWL studiert. Danach, genauer gesagt zum Millennium am 01.01.2000, stieg ich direkt bei Daimler ein, wo ich zwei Jahre lang als Business Analyst für nicht automobile Gesellschaften tätig war. Anschließend wechselte ich in den Bereich Rechnungslegung und Finanzberichterstattung des Daimler Konzerns, wo ich unter anderem die Trennung von Chrysler und das De-Listing von der NYSE mitbegleitet habe. Im Jahr 2012 stand dann der Wechsel aus dem Konzern in die Division Daimler Financial Services an, wo ich als Teamleiterin die bilanzielle Betreuung der europäischen Financial Services Gesellschaften übernommen habe. Im September 2015 erfolgte dann der nächste Schritt zur Daimler Mobility Services GmbH als Abteilungsleiterin, wo ich den heutigen Bereich Accounting & Tax aufgebaut habe und von Beginn an mit Frau Dr. Werner eine sehr wertvolle Mitarbeiterin in meiner Abteilung hatte, bis zu ihrem Wechsel auf die bereits erwähnte Projektleitungsstelle für die Gründung des Joint Ventures mit der BMW Group. Seit ihrer Rückkehr führen wir die Abteilung nun gemeinsam.

Das heißt, Frau Gruschka, Sie haben Frau Dr. Werner als Tandempartnerin mit in Ihre Position geholt - das klingt ungewöhnlich! Wie hat das funktioniert und wie kam es dazu?

Frau Gruschka: Zugrunde lag die Feststellung, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und gut zusammenarbeiten können. Der Wechsel von Frau Dr. Werner aus meiner Abteilung heraus war hier ein guter Prüfstein. Ich wollte sie wieder für unsere Abteilung gewinnen und so kam uns die Idee mit dem Jobsharing.

Was war Ihre Motivation, Ihre Stelle zu teilen?

Frau Gruschka: Ich wollte meine Arbeitszeit reduzieren, um mehr Zeit für mich zu haben. Das Teilen meiner Position war für mich von Anfang an eine Option: Jobsharing bedeutet ja nicht nur das Teilen von Verantwortung, sondern auch die Verdopplung von Perspektiven, was speziell mit Blick auf strategische Entscheidungen ein großer Vorteil ist. Die Idee zum Tandem wurde gemeinsam geboren, ich wollte Frau Dr. Werner fördern und befördern und gleichzeitig selbst davon profitieren.

Wie sehen Ihr Jobsharing und Ihr Arbeitszeitmodell konkret aus?

Frau Dr. Werner: Wir arbeiten beide 30 Stunden pro Woche, ich bin von Montag bis Mittwoch im Büro und Frau Gruschka von Mittwoch bis Freitag. Am Mittwoch finden wöchentlich eine große Übergabe und der Jour Fixe mit unseren Teamleitern statt und – sofern möglich – alle wichtigen Termine. Am späten Freitagnachmittag oder am frühen Montagmorgen machen wir außerdem noch eine kleinere telefonische Übergabe, um uns gegenseitig wieder auf den aktuellen Stand zu bringen.

Wollten Sie, Frau Dr. Werner, Ihre Arbeitszeit ebenfalls reduzieren? Waren Sie also von Anfang an einverstanden mit diesem Modell?

Frau Dr. Werner: Mit den 75 Prozent war ich absolut einverstanden - für mich brachte dieses Modell schließlich mehrere Vorteile: Erstens bedeutete das Jobsharing für mich den Sprung auf die Abteilungsleiter-Ebene. Zweitens war ich damals zwar noch nicht - wie heute - Mutter, aber die Familienplanung stand an und ich hatte das auch schon im Unternehmen thematisiert. Drittens ergab sich mit dem Tandem die Chance für mich, mit einer erfahrenen Person an meiner Seite in die Abteilungsleiterrolle hineinzuwachsen. Das hat den Wechsel für mich viel einfacher gemacht und war auch für das Unternehmen von Vorteil, weil auf diese Weise das Wissen intern optimal weitergegeben werden konnte.

Übrigens wollte ich heute, selbst wenn ich kein Kind hätte, nicht mehr auf eine volle Stelle zurückgehen. Es ist einfach schön, den Raum für andere Themen zu haben.

Wie wurde Ihre Initiative im Unternehmen aufgenommen? Was waren ihre Argumente und ihre Strategie, um Ihr Vorhaben durchzusetzen?

Frau Dr. Werner: Während es im Daimler-Konzern bereits einige Tandems gab, waren wir bei Mobility Services die ersten. Wir mussten daher durchaus Werbung im Unternehmen machen, auch bei unserem Vorgesetzten. Er hatte Bedenken, ob uns der Rollenwechsel von Vorgesetzte/Mitarbeiterin zu gleichberechtigten Tandempartnerinnen gelingen kann. Die Tatsache, dass ich für eine bestimmte Zeit die Abteilung verließ und erfolgreich das JointVenture-Projekt leitete, war ein guter Beweis dafür, dass Frau Gruschka und ich auf Augenhöhe agieren. Die Rückkehr in die Abteilung war dann bereits in der neuen Position.

Das heißt, Sie haben sich schon lange bevor Sie Ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnten, mit Ihrer Idee in Stellung gebracht?

Frau Dr. Werner: Ja, die Idee stand bereits ungefähr ein Jahr vorher im Raum – so hat sich langsam ein Plan entwickelt, der immer konkreter wurde.

Frau Gruschka: Wir hätten Frau Dr. Werner ohnehin fördern wollen. Mit unserer Lösung sah unser Vorgesetzter die Chance, sie in seinem Bereich zu behalten. Andernfalls hätte sich Frau Dr. Werner vielleicht anderweitig orientiert und das wollten wir verhindern.

Frau Dr. Werner: Ein willkommener Nebeneffekt war: so konnten wir aktiv einen positiven Beitrag zur Frauenquote leisten, die bei Daimler gezielt erhöht werden soll.

Darüber hinaus hat unser Tandem für unseren Vorgesetzten noch andere Vorteile wie beispielsweise die hohe Verfügbarkeit – wenn eine von uns krank ist oder im Urlaub, hat er trotzdem immer eine kompetente Ansprechpartnerin.

Außerdem würde ich in unserem Fall sagen: Eins plus eins ergibt mehr als zwei! Damit meine ich: Wir sind uns gute Sparringspartnerinnen und können gemeinsam bessere Entscheidungen treffen und bessere Ergebnisse erzielen. Davon profitieren unser Chef und das Unternehmen.

Das heißt, Ihr Tandem funktioniert auch ein bisschen wie ein gegenseitiges Coaching oder Mentoring?

Frau Gruschka: Nein, ein Mentoring oder Coaching ist das nicht. Klar ist, man muss als Führungskraft vom ersten Tag an eigenständig laufen können – das galt auch für Frau Dr. Werner. In der Doppelspitze ist man jedoch im ständigen Austausch und bekommt darüber andere Perspektiven und Impulse, die bei der Bewältigung der täglichen Arbeit nützlich sind.

Was sagt Ihr Vorgesetzter rückblickend zum Jobsharing?

Frau Gruschka: Bereits nach dem ersten halben Jahr haben wir  von ihm ein unheimlich gutes Feedback bekommen. Er ist sich absolut sicher, dass es die richtige Entscheidung war.

Wie sieht Ihre Arbeitsteilung aus und haben Sie diese mit ihm abgestimmt?

Frau Dr. Werner: Das war wirklich eine der schwierigsten Fragen, zu der wir uns sehr viele Gedanken gemacht haben! Wie organisiert man sich als Tandem? Fungiert man als "echtes" Tandem, in dem beide für alle Themen zuständig sind? Oder mit getrennten Aufgaben- und Themenbereichen? Und was bedeutet dies jeweils für die Kommunikation mit dem Vorgesetzten, den Mitarbeitern und anderen Geschäftspartnern? Darüber haben wir uns zu zweit die Köpfe zerbrochen, denn schließlich gibt es nur wenige bis gar keine ‚Role Models‘! Schlussendlich haben wir uns als ein echtes Tandem aufgestellt: Wir sind beide mit allen Themen vertraut und können diese auch beide vertreten.

Unser Vorgesetzter hat, nachdem er sich einmal dafür entschieden hatte, unser Vorhaben sehr unterstützt. Bei der Frage, wie wir unseren Alltag organisieren,  hat er uns völlig freie Hand gelassen. Das von uns gewählte Modell hat er vorbehaltslos akzeptiert und mittlerweile wie gesagt sehr zu schätzen gelernt. 

Frau Gruschka: Im Grunde können wir uns auch nur so, d.h. als echtes Tandem, gute Sparringspartner sein - und wir können unsere Arbeitszeit auch wirklich reduzieren, d.h. wir können uns an den jeweils "freien" Tagen komplett auf die Tandempartnerin verlassen und die Arbeit wird erledigt, so dass nichts liegen bleibt.

Das heißt aber auch, dass Sie in allen Fragen auf der gleichen Linie sein müssen. Klappt das im der Praxis?

Frau Dr. Werner: Ja, wir besprechen alles sehr offen und schließen uns auch zwischendurch kurz. Natürlich sind wir inhaltlich bzw. fachlich auch einmal unterschiedlicher Meinung. Wir teilen aber gemeinsame Werte, die wichtig für unsere Arbeit sind - zum Beispiel bezüglich der Mitarbeiterführung.

Frau Gruschka: Ein unabdingbarer Erfolgsfaktor für unser Tandem ist sicher, dass wir die Entscheidungen der jeweils anderen weitertragen. Hat also Frau Werner zwischen Montag und Mittwoch eine Entscheidung getroffen, halte ich daran fest - und umgekehrt.

Darüber hinaus ist ein guter persönlicher Kontakt der TandempartnerInnen wichtig für das Gelingen, da man auch an einem Sonntagabend bereit für ein kurzes Telefonat sein muss, um sich abzustimmen. 

Wie sind Ihre Mitarbeiter mit der neuen Konstellation umgegangen?

Frau Gruschka: Da gab es anfangs natürlich schon ein paar Fragezeichen in den Gesichtern, insbesondere zur Organisation des Arbeitsalltags. Unseren MitarbeiterInnen war vor allem wichtig, dass sie sich uns gegenüber nicht doppelt erklären oder rechtfertigen müssen oder dass sie keine zwei unterschiedlichen Antworten bekommen.

Daher haben wir von Anfang an gezeigt, dass wir zu 100 Prozent abgestimmt sind. Wir sprechen aus einem Mund! Das hat sich ausgezahlt: Unsere MitarbeiterInnen haben uns das Feedback gegeben, dass das Tandem für sie keinen Unterschied macht und keinen zusätzlichen Abstimmaufwand für sie bedeutet.

Frau Dr. Werner: Einer unserer Mitarbeiter hat uns sogar gesagt: ‚Das Jobsharing bei euch funktioniert so gut, dass ich es mir auch für mich vorstellen könnte!‘. Das freut uns natürlich besonders.

Wie sieht es auf der gleichen Ebene aus? Es gibt ja noch andere AbteilungsleiterInnen. Wie wurde Ihr Jobsharing dort aufgenommen?

Frau Dr. Werner: Manche unserer KollegInnen waren begeistert und würden selbst gerne so ein Modell leben. Bei anderen gab es ähnlich wie bei den MitarbeiterInnen anfangs eine gewisse Skepsis, was dies für die tagtägliche Zusammenarbeit bedeutet. Aber auch hier konnten wir schnell überzeugen. Denn auf der Abteilungsleiterebene gilt die gleiche Regel wie gegenüber unseren Mitarbeitern oder unserem Vorgesetzten: Wir agieren als Tandem deckungsgleich und sind so gut abgestimmt, dass immer diejenige zum Meeting gehen kann, die gerade im Büro ist.

Frau Gruschka: Mit der Ausnahme von Strategie-Meetings oder Klausurtagungen. Hier erwartet unser Vorgesetzter, dass wir beide teilnehmen. Dementsprechend kommt es vor, dass wir auch einmal an einem unserer eigentlichen Nicht-Arbeitstage anwesend sind.

Wie oft kommt das vor?

Frau Gruschka: Solche Termine gibt es vier- bis sechsmal pro Jahr. Wir versuchen dann, uns – wenn möglich – einen entsprechend Ausgleich zu nehmen.

Ohne enge Abstimmung funktioniert Ihr Tandem nicht. Welche Entscheidungen können sie getrost alleine treffen und welche nur zu zweit? Und: Hatten Sie sich das vorher überlegt oder hat sich das automatisch gezeigt?

Frau Gruschka: Da ich Frau Dr. Werner aus ihrer Zeit als Teamleiterin gut kannte, wusste ich, wie sie Entscheidung trifft. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich ein Informationsdefizit habe. Von daher mussten wir das nicht festlegen, sondern das hat sich natürlich entwickelt.

Frau Dr. Werner: Diese Frage stellt sich ja nicht nur in Führungstandems. Auch gegenüber meiner/m Vorgesetzten muss ich wissen, wann ich selbst entscheiden kann und wann ich ihn oder sie informieren muss.

Ein häufiger Vorwurf lautet: Bei einem Jobsharing geht zu viel Zeit für die Abstimmung drauf! Können Sie diesen Vorbehalt entkräften?

Frau Gruschka: Natürlich ist der Kommunikationsaufwand hoch, aber ich würde sagen, die Qualität unserer Arbeit spiegelt sich in einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit, einer stabilen Abteilung und auch einer hohen Vorgesetztenzufriedenheit wider.

Ich persönlich habe ja den direkten Vergleich zwischen alleine und gemeinsam und kann sagen: Es ist sehr schön, die Verantwortung zu teilen und eine Partnerin an meiner Seite zu haben! Das ist für mich insgesamt ein großes Plus, das jeden Abstimmungsaufwand rechtfertigt.

Frau Dr. Werner: Außerdem darf man nicht vergessen: Abstimmungszeit ist ja gerade auch die Zeit, in der die verschiedenen Perspektiven auf ein Thema ausgelotet werden. Das heißt, wir investieren hier Zeit in die Qualität der Arbeit und unserer Entscheidungen.

Was wäre Ihre Empfehlung für andere Führungskräfte, die über ein Jobsharing-Modell nachdenken?

Frau Dr. Werner: Uns persönlich hat eine Blaupause gefehlt: Wie organisiere ich so ein Tandem? Worauf kommt es an? Wir hatten keinerlei Vorbilder. Daher haben wir angefangen, unsere Erfahrungen zusammenzufassen. Wir möchten diese weitergeben und damit andere inspirieren! Daher sind wir gerade dabei, das Informations- und Beratungsportal www.doppel-spitze.de aufzubauen und laden alle Interessierten herzlich ein, sich dort zu informieren und uns über die Seite auch ihre Erfahrungen zukommen zu lassen.

 

Herzlichen Dank für das spannende Gespräch, viel Erfolg für Ihre Website und natürlich weiterhin große Freude mit Ihrer Arbeit im Tandem.